Multiplikatoren des Gleichgewichts auf dem Gütermarkt

Was versteht man unter einem Multiplikator?

Der Multiplikator gibt an, um wie viele Einheiten das Einkommen wächst, wenn beispielsweise Investitionen, Staatsausgaben oder Exporte geringfügig steigen. Das heißt: Wenn der Multiplikator einen Wert annimmt, der größer als eins ist, resultiert dies in einer mehrfachen Einkommenssteigerung im gesamtwirtschaftlichen Gütermarkt.[1]

Die Multiplikator-Theorie

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) gemäß der Verwendungsrechnung dient als Basis für die Multiplikatortheorie. Das BIP ist ein Teilbereich der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung.

Das Volkseinkommen, das auch als die Gesamtnachfrage (Y) bezeichnet werden kann, resultiert aus der Summe des privaten Konsums (C), der Investitionen (I), der Staatsnachfrage (G), sowie dem Außenbeitrag (X-IM) (Differenz aus Exporten (X) und Importen (IM)).

Y = C + I + G + X – IM

Um die Zusammenhänge im Rahmen der Konjunkturtheorie besser verstehen zu können, empfiehlt sich ein Blick auf: https://wl-wirtschaftslehre.de/konjunkturtheorie/  

Als Multiplikator kommen prinzipiell alle Bestandteile der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage in Betracht. Allgemein steht jedoch die Staatsnachfrage (G) im Vordergrund.

Es kann untersucht werden, in welchem Umfang es zu einer Erhöhung des Volkseinkommens (Y) kommt, wenn beispielsweise die Staatsausgaben um einen bestimmten Wert steigen. Die Grundidee dahin ist, dass staatliche Ausgaben, die zu Einkommen werden, im Falle der Verausgabung wieder erneut Einkommen generieren.

Der Wert 1/s1 bzw. 1/(1-c1), mit dem die Staatsausgaben zu multiplizieren sind, wird als Multiplikator bezeichnet. Die Wirkung des Multiplikators wird dabei größer, je mehr sich c1 dem Wert 1 nähert.[2]

Formel zur Darstellung des Multiplikatoreffektes

Es gilt:

Y = Volkseinkommen

△G = Veränderung der Staatsausgaben

s1 = marginale Sparquote

c1 = marginale Konsumquote

Das einfache Gütermarktmodell wird um Staat und Ausland erweitert

Der Staat greift in verschiedenster Weise in den Gütermarkt ein:

  • Nachfrage nach Gütern und Faktorleistungen, um Dienstleistungen für Bürger zu produzieren.
  • Leistung von Transferzahlungen, z. B. Sozialhilfe, Wohngeld, Arbeitslosengeld.
  • Zahlung von Subventionen an Unternehmen.
  • Erzielung von Einnahmen, als direkte und indirekte Steuern.

In der offenen Volkswirtschaft werden auch Güter, Dienstleistungen und Faktorleistungen in das Ausland exportiert sowie aus dem Ausland importiert.

Durch Verhaltensgleichungen lassen sich diese wirtschaftlichen Zusammenhänge realitätsnaher in einem makroökonomische Grundmodell abbilden.

Anhand einiger Beispiele wird gezeigt, wie das einfache Gütermarktmodell erweitert werden kann und welche Auswirkungen diese Erweiterung auf das Gleichgewichtseinkommen und die Multiplikatoren hat.  

Für die Berechnung wird die Konsumfunktion C = 100 + 0,8Y und die Investitionsnachfrage von I = 100 angenommen.

Das Gleichgewichtseinkommen im Grundmodell beträgt:

Gleichgewichtseinkommen im Grundmodell

Dieses Grundmodell wird nun um die Aktivitäten des Staates, direkte Steuern (Tdir = 80), Transferleistungen (Tr = 30) und autonome Staatsausgaben (G = 50) erweitert. Das Angebot am Gütermarkt wird davon nicht berührt und entspricht weiterhin dem Einkommen.

Bei der Ermittlung der Nachfrage ist zu beachten, dass das verfügbare Einkommen der Privaten Haushalte (Yd) nicht weiter mit dem Volkseinkommen (Y) identisch ist, sondern sich von ihm durch die direkten Steuern und die Transfereinkommen unterscheidet:

Verfügbares Einkommen privater Haushalte

Die Konsumfunktion in Abhängigkeit vom verfügbaren Einkommen ist folglich:

Konsumfunktion

Werden die erweiterte Konsumfunktion und die Staatsausgaben berücksichtigt, so ergibt sich für die Nachfrage am Gütermarkt:[3]

Nachfrage am Gütermarkt

Das Gleichgewichtseinkommen bei staatlicher Aktivität wird grafisch wie folgt dargestellt:

Grafische Darstellung des Gleichgewichtseinkommens

Quelle: Hewel/Neubäumer (2017), S. 260.

Das neue Gleichgewichtseinkommen beträgt demnach:

Berechnung des Gleichgewichtseinkommens

Aus dem neuen Gleichgewichtseinkommen ergeben sich somit verschiedene Multiplikatoren:

Der Staatsausgaben-Multiplikator  1/(1-c1

Dieser ist genauso groß wie der Investitionsmultiplikator und der Multiplikator des autonomen Konsums im Grundmodell, sodass durch die Einführung von Staatsausgaben das Gleichgewichtseinkommen um 100 steigt:

Steigerung des Glichgewichtseinkommens

Der Transferausgaben-Multiplikator c1/(1-c1)

Dieser ist geringer als der Staatsausgabenmultiplikator, weil eine Variation der Transferausgaben in der 1. Periode nur das verfügbare Einkommen ändert und erst ab der 2. Periode zu zusätzlichen Konsumausgaben in Höhe von c1 ・ Tr führt.

Der Steuer-Multiplikator -c1/(1-c1)

Dieser ist mit umgekehrtem Vorzeichen identisch mit dem Transferausgabenmultiplikator, denn auch die Steuerzahlung führt in der 1. Periode nur zu einem niedrigeren verfügbaren Einkommen und reduziert erst in der 2. Periode die Konsumausgaben entsprechend der marginalen Konsumquote.[4]

Der Multiplikatoreffekt beruht auf einem mathematischen Konzept

In der Mathematik spricht man vom Prinzip einer geometrischen Reihe. Darunter versteht sich eine Reihe (Zahlenfolge), deren Glieder auf den Gesetzen einer geometrischen Folge beruhen, d.h., dass der Quotient zweier beliebiger aufeinanderfolgender Glieder der Reihe konstant ist.

Die Nachfrage hängt sowohl vom autonomen Konsum c0 als auch vom Einkommen ab. Erfolgt beispielsweise ein Anstieg der Ausgaben um △G, erhöht sich auch die Produktion um △G.

Dieser Produktionsanstieg führt zu einem Einkommensanstieg. Der private Konsum erhöht sich so um c1△G (Der sogenannte Zweitrundeneffekt). Die Produktion steigt um c1△G. Dies führt wiederum zu einem Anstieg des privaten Konsums, diesmal um

c1(c1△G) = c12△G (Drittrundeneffekt).

In der vierten Runde ergibt sich ein Anstieg um c13△G.

Zusammenfassend:

Porduktionsanstieg als geometrische Reihe

Da c1 < 1 ist, nehmen die Ausgaben mit der Zeit ab. Da eine geometrische Reihe vorliegt, kann die Gleichung wie folgt zusammengefasst werden:

Einkommensänderung als Ergebnis der geometrischen Reihe

Bei der Gleichung wird deutlich, dass die Wirkung der erhöhten Investitionsausgaben von der Höhe der marginalen Konsumquote und damit des Multiplikators abhängig ist.

Beträgt die marginale Konsumquote bspw. 0,75, dann nimmt der Multiplikator den Wert 4 an, folglich steigt bei einer zusätzlichen Investition von 1 Mrd. € (Erstrundeneffekt) das gesamte Volkseinkommen über alle Perioden um 4 Mrd. €. Der Grund für die Multiplikatorwirkung ist, dass eine zusätzliche Investition das Volkseinkommen zunächst nur um diesen Zusatzbetrag erhöht. Für den Fall, dass die marginale Konsumquote größer als Null ist, werden aus dem Einkommenszuwachs zusätzliche Konsumausgaben getätigt, die wiederum das Volkseinkommen vergrößern.[5]

Beispiele des Multiplikatoreffekts

Ausgaben des Staates für Güter und Dienste (Staatsausgabenmultiplikator)

Durch eine Erhöhung der Ausgaben des Staates für Güter und Dienstleistungen (G) werden diese unmittelbar und vollumfänglich auf den Gütermärkten nachfragewirksam. Dies gilt sowohl für staatliche Investitionen als auch für Ausgaben für Konsumgüter.

Mulitplikatoreffekt der Staatsausgaben

Bei einer marginalen Konsumquote von 0,75 würde der Staatsausgabenmultiplikator 4 betragen. Multipliziert mit zusätzlichen Ausgaben des Staates für Güter und Dienstleistungen in Höhe von beispielsweise 1 Mrd. € würde dies zu einer Erhöhung der Gesamtnachfrage um 4 Mrd. € führen.

Transfers an private Haushalte (Transferausgabenmultiplikator)

Transferausgaben an private Haushalte (TrH) – z. B. durch die Zahlung von Renten oder Arbeitslosengeld – beeinflussen die gesamtwirtschaftliche Nachfrage erst dann, wenn sie von den Empfängern für Konsumgüterkäufe ausgegeben werden. Daher ergibt sich die Multiplikatorwirkung nur aus der zusätzlichen Konsumgüternachfrage der Empfänger:

Mulitplikatoreffekt der Transferausgaben

Für den Fall von c1 = 0,75 würde die Erhöhung der Transferzahlungen an private Haushalte um 1 Mrd. € zu einer Erhöhung der Gesamtnachfrage um 3 Mrd. € führen.[6]

Das Haavelmo-Theorem

Trygve Magnus Haavelmo war norwegischer Ökonom und erhielt 1989 den Wirtschaftsnobelpreis. Sein Theorem aus dem Jahr 1945 besagt:

„Eine Erhöhung der Staatsausgaben, die in gleicher Höhe durch eine Steuererhöhung finanziert wird, G = T), erhöht die Gesamtnachfrage um den Betrag der Staatsausgabenerhöhung (Y= G).“

Alternativ lässt sich das Theorem wie folgt beschreiben:

Trotz eines ausgeglichenen Staatshaushalts (die Ausgaben entsprechen den Einnahmen) kann eine positive bzw. expansive Wirkung auf das Sozialprodukt erzielt werden. Diese Wirkung kann auch negativ also kontraktiv sein, wenn die Staatsausgaben reduziert werden.[7]

Zusammenfassung zum Multiplikator-Effekt

Der Multiplikatoreffekt ist ein wichtiges Konzept der Volkswirtschaftslehre, das beschreibt, wie sich eine Änderung in einer wirtschaftlichen Variablen auf andere Variablen auswirkt und so zu einer Verstärkung oder Abschwächung der ursprünglichen Veränderung führen kann. Hier sind noch einmal einige Beispiele für den Multiplikatoreffekt zusammengestellt:

  1. Investitions-Multiplikator: Ein Unternehmen investiert in den Bau eines neuen Fabrikgebäudes. Dadurch steigt die Nachfrage nach Baumaterialien, wie Beton und Stahl, sowie nach Arbeitskräften in der Bauindustrie. Die Beschäftigung in der Bauindustrie nimmt zu, was zu höheren Einkommen führt. Die zusätzlichen Einkommen der Arbeiter werden wiederum ausgegeben, was zu einer weiteren Nachfragesteigerung führt. Dies führt zu einem Multiplikatoreffekt, der die Gesamtnachfrage in der Volkswirtschaft erhöht.
  2. Steuermultiplikator: Die Regierung beschließt, die Einkommensteuern zu senken. Dadurch haben die Bürger mehr verfügbares Einkommen, das sie ausgeben können. Diese zusätzlichen Ausgaben führen zu einem Anstieg der Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, was wiederum die Produktion und Beschäftigung erhöht. Die höhere Beschäftigung führt zu weiteren Einkommen, die erneut ausgegeben werden. Dieser Prozess verstärkt die ursprüngliche Steuersenkung und führt zu einem Multiplikatoreffekt.
  3. Exportmultiplikator: Eine Volkswirtschaft exportiert einen Großteil ihrer Produktion in andere Länder. Wenn die ausländische Nachfrage nach den exportierten Gütern steigt, erhöht sich die Produktion inländischer Unternehmen, um dieser Nachfrage gerecht zu werden. Dies führt zu mehr Beschäftigung und Einkommen im Inland, was wiederum die inländische Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen steigert. Auf diese Weise verstärkt sich der Exportmultiplikatoreffekt und trägt zur wirtschaftlichen Expansion bei.

Diese Beispiele verdeutlichen, wie der Multiplikatoreffekt dazu beiträgt, dass Änderungen in einer wirtschaftlichen Variablen sich auf andere Variablen auswirken und so zu einem Dominoeffekt führen können, der die gesamtwirtschaftliche Aktivität verstärkt oder abschwächt.

Quellenhinweise zu den Multiplikatoren

[1] Vgl. Wohltmann, Onlinequelle.

[2] Vgl. Lenk/Sesselmeier (2017), S. 468 f. 

[3] Vgl. Hewel/Neubäumer (2017), S. 256 f.

[4] Vgl. Hewel/Neubäumer (2017), S. 260.

[5] Vgl. Lenk/Sesselmeier (2017), S. 470 f.

[6] Vgl. Lenk/Sesselmeier (2017), S. 471.

[7] Vgl. Wildmann (2012), S. 75.

Hewel, B., Neubäumer, R. (2017). Der Gütermarkt in: Lenk, T. (Hrsg.) Volkswirtschaftslehre. Grundlagen der Volkswirtschaftstheorie und Volkswirtschaftspolitik. 6. Aufl., Wiesbaden: Gabler-Verlag.

Lenk, T., Sesselmeier, W. (2017), (2017). Der Gütermarkt in: Lenk, T. (Hrsg.) Volkswirtschaftslehre. Grundlagen der Volkswirtschaftstheorie und Volkswirtschaftspolitik. 6. Aufl., Wiesbaden: Gabler-Verlag.

Wildmann, L. (2012). Makroökonomie, Geld und Währung: Module der Volkswirtschaftslehre Band II. Deutschland: De Gruyter.

Wohltmann, H. Erreichbar unter: https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/multiplikator-39042