Das Produktionspotenzial einer Volkswirtschaft

Das Produktionspotenzial beschreibt die maximale Menge an Gütern und Dienstleistungen, die eine Volkswirtschaft innerhalb einer bestimmten Periode herstellen und anbieten kann. Es beschreibt also folglich, wie viele Güter und Dienstleistungen innerhalb des Jahres (z. B. 2022 in Deutschland) maximal produziert und angeboten werden könnten, wenn eine maximale Auslastung der vorhandenen Produktionsfaktoren (Arbeit, Kapital, Boden & technischer Fortschritt) und –kapazitäten (Mitarbeiter, Maschinen & Räume) erfolgt wäre. Das Potential beschreibt also stets den maximalen Güter- & Dienstleistungsoutput innerhalb einer Volkswirtschaft. Dieser kann jedoch nur erreicht werden, wenn Unternehmen fähig sind, ihre Mitarbeiter, Maschinen und Räume optimal einzusetzen.

Mit dem Thema des Produktionspotenzials einer Volkswirtschaft hat sich Tarik Topal beschäftigt, Studierender an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes in Saarbrücken.

Produktionsergebnis und Produktionspotenzial im Vergleich

Das Produktionsergebnis stellt die tatsächliche Output-Menge an Gütern & Dienstleistungen dar und zeigt auf, inwieweit das Produktionspotential tatsächlich ausgeschöpft worden ist. Folgendes Beispiel soll diesen Zusammenhang anschaulich aufzeigen:

Produktionspotenzial und Produktionsergebnis im Vergleich

In der Abbildung ist zu erkennen, dass die gleiche Industrie im internationalen Vergleich verschiedene Ergebnisse aufweisen kann. Es liegt also eine unterschiedliche Kapazitätsauslastung in jedem Land vor. Analysiert man nun die tatsächliche Produktionsleistung an produzierten Staubsaugern, so liegt Spanien auf den ersten Blick auf Platz 1. Jedoch kann eine Aussage über das Wachstum eines Landes nur dann erfolgen, wenn auch das Verhältnis zwischen dem Produktionspotential und dem Produktionsergebnis berücksichtigt wird. Man kann also sagen, dass nicht die absoluten Zahlen selbst eine Aussage erlauben, sondern nur eine verhältnismäßige Betrachtung der jeweiligen Auslastung des Potentials. Im (erfundenen) Beispiel würde also Deutschland das höchste Wachstum durch seine Auslastung aufzeigen.

Das Produktionspotenzial beschreibt also das Maximum der Produktionsleistung eines Landes. Es handelt sich um ein Maß für die Wirtschaftsleistung einer Volkswirtschaft und kann uns folglich aufzeigen, ob ein aktuelles Wachstum innerhalb der Wirtschaft vorliegt.

Eine Volkswirtschaft besitzt aber nicht nur eine Industrie, sondern eine große Vielfalt von Branchen, die ebenfalls Produkte herstellen. Somit kann eine Betrachtung für eine komplette Volkswirtschaft nur dann erfolgen, wenn hierfür eine gemeinsam definierte Messgröße verwendet wird. Eben eine solche Messgröße ist das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP). Mit dieser Kennzahl kann ein nationaler und globaler Vergleich der Volkswirtschaften erfolgen.

Die Ermittlung des Produktionspotenzials

Wir wollen uns nun mit der Ermittlung des Produktionspotenzials beschäftigen. Die Bestimmung des Potenzials ist mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Denn eine gesamtwirtschaftliche Einschätzung, wann denn nun eine Vollauslastung der Produktionskapazitäten bspw. in Deutschland vorliegen wird, kann nicht verlässlich gegeben werden, da es sich bei dem Produktionspotenzial um eine empirisch nicht zu beobachtende Größe handelt.

Nichtdestotrotz kann eine Schätzung anhand verschiedener Methoden erfolgen. Bspw. verpflichteten sich die Europäischen Mitgliedsstaaten dazu, eine solche Schätzung im Sinne der Cobb-Douglas-Produktionsfunktion durchzuführen.

Berechnung des realen BIP

Doch wieso wird gerade eine solche Methode von den Europäischen Mitgliedsstaaten genutzt?

Dies lässt sich ganz einfach an dem Faktor Arbeit aufzeigen. Betrachten wir die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung der BRD, so kann aufgezeigt werden, dass in der Zukunft die Anzahl der arbeitsfähigen Personen den benötigten Bedarf an Personal nicht mehr decken wird. Es existieren somit mehr freie Stellen, als es arbeitsfähige Personen gibt, die diese Stellen besetzen können.

Negative Entwicklung des Produktionspotenzials

Übertragen wir dieses Problem auf die Staubsaugerindustrie, so könnte es sein, dass ein zu hoher Abgang an Mitarbeitern nicht durch das Eintreten von neuem Personal ausgeglichen werden kann. Folglich entsteht in unserem Beispiel eine Lücke von genau 400 Mitarbeitern, die jetzt innerhalb der Produktion von Staubsaugern fehlen. Sollte es nun so sein, dass in der Zukunft der Personalabgang immer größer sein wird als der Zufluss, so kann diese Lücke nicht mehr geschlossen werden. Folglich wird sich diese Entwicklung auch auf das Produktionspotenzial auswirken. Das Produktionspotential wird in der Folge um 100.000 Staubsauger sinken. Der besondere Vorteil dieser Methode leigt darin, dass Ursachen (weniger Personal) und ihre Auswirkungen auf das Produktionspotenzial schon frühzeitig analysiert werden können.

Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung

Um eine gesamtwirtschaftliche Potentialschätzung durchzuführen, empfiehlt das Bundesfinanzministerium die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) als eine solide Datenquelle. Denn gerade die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung besitzt den Vorteil, dass sich über sie Maßzahlen bestimmen lassen, die weitestgehend empirisch beobachtbar sind, bspw. das Bruttonationaleinkommen (BNE) und das Bruttonationalprodukt (BIP).

Letztlich muss akzeptiert werden, dass eine Ermittlung bzw. Schätzung des Produktionspotenzials nicht über eine einzige allgemeingültige „Methode“ erfolgen kann. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass sich das Produktionspotential nur mittels der Betrachtung von demographischen sowie strukturellen Änderungen sinnvoll für ein Land schätzen lässt.

Das Produktionspotenzial und der Konjunkturzyklus

Weiterführend wollen wir uns nun mit der Frage beschäftigen, weshalb wir dem Produktionspotential überhaupt eine solche hohe Beachtung schenken sollten. Was ist denn nun der genaue Zweck dieses Indikators? Zeigt er uns vielleicht auf, ob unsere Wirtschaft wächst oder gegebenenfalls schrumpft? Können wir mit diesem Maß bspw. auch aufzeigen, in welcher konjunkturellen sowie strukturellen Phase sich unsere Wirtschaft aktuell befindet bzw. welche Entwicklung wir erwarten müssen?

Eben diese Fragen, die sich mit dem Wachstum einer Volkswirtschaft und den hiermit verbundenen Konjunkturphasen beschäftigen, lassen sich mit dem Produktionspotenzial als Maßgröße durchaus erklären.

Dazu erfolgt ein Vergleich zwischen der erzeugten Gütermenge (BIP) und dem geschätzten Produktionspotenzial. Hier fungiert das Produktionspotenzial im Zusammenhang mit dem Produktionsergebnis als ein sogenannter „Wachstumsindikator“, der besonders Unternehmen sowie dem Staat einen Anhaltspunkt liefert, in welcher konjunkturellen Phase sich eine Wirtschaft aktuell befindet. Den Zusammenhang zwischen dem Produktionspotential und der Produktionsleistung veranschaulicht die folgende Abbildung:

Produktionspotential und Konjunkturzyklus

Die Kapazitätsauslastung innerhalb des Konjunkturzyklus

Betrachten wir nun die oben stehende Abbildung. Hier wird der Vergleich zwischen dem Produktionspotenzial und dem -ergebnis dargestellt. Analysieren wir die gelbe Linie, so zeigt sie das reale Produktionsergebnis (Produktionsleistung) der deutschen Industrie in Millionen € (BIP). Hier sehen wir, dass die tatsächliche Produktionsleistung abnimmt und dann wieder aufsteigt. Dieser Effekt ist als der sogenannte Konjunkturzyklus bekannt. Ein solcher Ab- und wieder Aufschwung des BIP wird durch das vorrübergehende Unter- bzw. Überlasten von Maschinen, Mitarbeitern und Räumen hervorgerufen.

  • Beispiel Vollauslastung: Die deutsche Staubsaugerindustrie konnte im Jahre 2022 Staubsauger im Wert von 100 Millionen € produzieren. Das Produktionspotential wurde ebenfalls auf genau 100 Millionen € geschätzt. Es würde also zu einer Auslastung der Kapazitäten von genau 100% kommen. Dies bedeutet, dass die Unternehmen ihre Maschinen, Mitarbeiter und Räume optimal nutzen: sie sind voll ausgelastet. Die Wirtschaft befindet sich also auf einem Höhepunkt (Hochkonjunktur), da hier die Produktionsleistung (100 Mio. €) genau dem Potential (100 Mio. €) entspricht.  Es kommt zu einer Vollbeschäftigung innerhalb der deutschen Wirtschaft. Doch diese Situation hält nicht für ewig. Sollte die Nachfrage an Staubsaugern stagnieren bzw. sinken, so wird sich auch die Produktion an Staubsaugern verringern.
  • Beispiel Unterauslastung: Würde die deutsche Staubsaugerindustrie hingegen nur Staubsauger im Wert von 85 Millionen € herstellen, würde eine Unterauslastung der Kapazitäten Maschinen, Mitarbeiter und Räume vorliegen, da der Auslastungsgrad der Kapazitäten in diesem Beispielfall nur bei 85% liegt. Diese Situation beschreibt einen Abschwung der Wirtschaft. Würde sich jedoch ein noch niedrigeres Produktionsergebnis zeigen, das unterhalb der Normalauslastung (graue Linie) liegt, so befindet sich die deutsche Staubsaugerindustrie in einer Rezession. Resultierend hieraus muss die Branche Mitarbeiter entlassen, da sich die Produktion an Staubsaugern verringert hat. Durch die Entlassungen steigt die Arbeitslosenquote.

Kapazitätsauslastung

Möchte man nun die tatsächliche Kapazitätsauslastung einer Volkswirtschaft berechnen, so kann dies mittels der folgenden Formel erfolgen:

Berechnung der Kapazitätsauslastung

In der Berechnung setzt man das geschätzte Produktionspotenzial ins Verhältnis zum berechneten realen BIP, das wir aus der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung entnehmen können. Die sich hieraus ergebende Kapazitätsauslastung stellt die tatsächliche Auslastung der Angebotsseite einer Volkswirtschaft in % dar.

Abschließend können wir festhalten, dass es stets zu konjunkturellen Veränderungen innerhalb einer Volkswirtschaft kommen wird. Gerade eine solche Veränderung der wirtschaftlichen Lage eines Landes lässt sich durch die Kapazitätsauslastung im Verhältnis zur Normalauslastung ermitteln.

Die Bedeutung der Produktionslücke

Eine weitere entscheidende Größe zur Messung der konjunkturellen Komponenten ist die sogenannte Produktionslücke. Die Produktionslücke bezeichnet die Differenz zwischen dem tatsächlichen Produktionsergebnis (BIP) und dem geschätzten Produktionspotenzial. Die Produktionslücke gibt also das Ausmaß der gesamtwirtschaftlichen Über- bzw. Unterauslastung an.

Gleichwohl  kann eine Produktionslücke entweder „positiv“ oder „negativ“ sein. Liegt eine solche Differenz vor, so werden die Kapazitäten innerhalb der Produktion entweder über oder unter ihrem Maximum genutzt.

  • Beispiel Positive Produktionslücke: Die deutsche Staubsaugerindustrie konnte für das Jahr 2022 ihre Produktionsleistung auf 110 Millionen € erhöhen. Man schätzte für das jeweilige Jahr ein Maximum in Höhe von 100 Millionen €. Doch wie kann man mehr produzieren, als das Maximum überhaupt vorsieht? Dies kann bspw. durch eine Überauslastung der Maschinen oder Mitarbeiter geschehen. Denn wenn zusätzliche Überstunden, Nacht- und Wochenendschichten erbracht werden, so kann eine Produktionsleistung über dem normalen Maximum liegen. Innerhalb dieses Beispiels liegt somit eine positive Produktionslücke in Höhe von 10 Millionen € vor. Dies gilt als ein Anzeichen für eine gute Konjunkturlage bzw. einen Aufschwung. Eine solche konjunkturelle Lage zeigte sich in der Vergangenheit zuletzt nach der Finanz- & Wirtschaftskrise in den Jahren 2010 & 2011. Die Wirtschaft erholte sich, es folgte ein Aufschwung nach dem Abschwung im Jahre 2009.
  • Beispiel Negative Produktionslücke: Würde die deutsche Staubsaugerindustrie hingegen nur Staubsauger im Wert von 90 Millionen € herstellen,  so würde sich eine negative Produktionslücke in Höhe von 10 Millionen € ergeben. Folglich liegt die tatsächliche Produktionsleistung um 10 Mio. € unter dem maximal möglichen Potential. Gerade eine solche negative Produktionslücke konnte man im Jahre 2020 durch die überraschende Corona-Pandemie betrachten. Hierbei wurden die vorhandenen Kapazitäten unterausgelastet, ein Abschwung der Wirtschaft war die Folge.

Die folgende Abbildung soll die erklärten Beispiele nochmals verdeutlichen:

Positive & negative Produktionslücke

Fazit zu Produktionspotenzial und Produktionslücke

Abschließend kann also zusammengefasst werden, dass eine negative bzw. positive Produktionslücke stets die prozentuale oder geldmengenmäßige Angabe der Unter- bzw. Überauslastung des Potentials in Verbindung mit der Produktionsleistung darstellt. Es lässt sich feststellen, dass eine positive Produktionslücke immer dann auftritt, wenn das BIP (Produktionsleistung) durch eine Vollauslastung der Kapazitäten (Maschinen, Mitarbeiter etc.) über dem Produktionspotenzial liegt. Gleichwohl gilt dies eben gegenteilig für eine negative Produktionslücke, denn hier liegt das BIP unter dem Produktionspotential. Eine Unterauslastung der Kapazitäten ist hier die Folge.