Gleichgewichtseinkommen in der offenen Volkswirtschaft

In der Volkswirtschaftslehre spielt das Konzept des Gleichgewichtseinkommens eine zentrale Rolle für das Verständnis der Wirtschaftstätigkeit einer Gesellschaft. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, sowohl das Gleichgewichtseinkommen in geschlossenen als auch in offenen Volkswirtschaften zu betrachten. Eine offene Volkswirtschaft unterscheidet sich von einer geschlossenen dadurch, dass sie Waren und Dienstleistungen mit dem Ausland austauscht, was bedeutet, dass internationale Handelsströme und Kapitalflüsse berücksichtigt werden müssen.

Was ist eine offene Volkswirtschaft?

Eine offene Volkswirtschaft ist ein wirtschaftliches System, das Handel und Kapitalflüsse mit anderen Ländern zulässt. Dies bedeutet, dass es Importe und Exporte von Gütern und Dienstleistungen gibt sowie internationale Investitionen und Finanztransaktionen. Die Beziehungen einer offenen Volkswirtschaft mit dem Ausland haben erheblichen Einfluss auf ihre makroökonomische Stabilität und Dynamik.

Konzept des Gleichgewichtseinkommens in einer offenen Volkswirtschaft

Das Gleichgewichtseinkommen in einer offenen Volkswirtschaft bezieht sich auf die Situation, in der die aggregierte Nachfrage der Wirtschaftsteilnehmer nach Gütern und Dienstleistungen gleich der aggregierten Produktion der Volkswirtschaft ist, wobei auch die Nettoexporte als Differenz aus Export- und Importtätigkeit eines Landes berücksichtigt werden. Anders ausgedrückt, ist es der Punkt, an dem die gesamtwirtschaftlichen Ausgaben (Konsum, Investitionen, Staatsausgaben und Nettoexporte) gleich der gesamtwirtschaftlichen Produktion sind.

Beispiel: Angenommen, eine offene Volkswirtschaft exportiert Autos im Wert von 100 Millionen Euro und importiert Elektronikprodukte im Wert von 80 Millionen Euro. In diesem Fall beträgt der Nettoexport 20 Millionen Euro. Das Gleichgewichtseinkommen würde erreicht, wenn die Inlandsnachfrage und die Investitionen zusätzlich zu den Staatsausgaben genau 80 Millionen Euro betragen, was die gesamte Produktion deckt, einschließlich der Nettoexporte.

Determinanten des Gleichgewichtseinkommens

Die Bestimmungsfaktoren des Gleichgewichtseinkommens in einer offenen Volkswirtschaft umfassen ähnliche Variablen wie in einer geschlossenen Volkswirtschaft, aber zusätzlich spielen auch internationale Faktoren eine wichtige Rolle.

a. Internationale Wettbewerbsfähigkeit: Die Wettbewerbsfähigkeit der Exporte wird durch Wechselkurse und Handelspolitik beeinflusst. Ein schwacher Wechselkurs kann die Exporte steigern und das Gleichgewichtseinkommen erhöhen.

Beispiel: Eine Abwertung der Währung einer offenen Volkswirtschaft kann ihre Exporte billiger machen und die Nachfrage nach inländischen Produkten im Ausland erhöhen, was zu einem höheren Gleichgewichtseinkommen führt.

b. Internationale Kapitalströme: Die Kapitalflüsse zwischen Ländern beeinflussen die Zinssätze und Wechselkurse, was wiederum die Investitionsausgaben und den Konsum beeinflusst.

Beispiel: Ein Zustrom ausländischer Investitionen kann die Zinssätze senken und die Investitionsausgaben erhöhen, was das Gleichgewichtseinkommen steigern könnte.

c. Weltwirtschaftliche Bedingungen: Externe Schocks wie Weltkonjunktur, Handelspolitik und geopolitische Ereignisse können das Gleichgewichtseinkommen einer offenen Volkswirtschaft erheblich beeinflussen.

Beispiel: Eine weltweite Rezession kann die Nachfrage nach Exporten einer offenen Volkswirtschaft verringern und somit das Gleichgewichtseinkommen senken.

Auswirkungen des Gleichgewichtseinkommens

Die Auswirkungen des Gleichgewichtseinkommens in einer offenen Volkswirtschaft ähneln denen in einer geschlossenen Volkswirtschaft, jedoch müssen auch die internationalen Dimensionen berücksichtigt werden.

a. Handelsbilanz: Ein Gleichgewichtseinkommen impliziert ein Gleichgewicht in der Handelsbilanz, was bedeutet, dass die Nettoexporte null sind.

Beispiel: Wenn die Importe einer Volkswirtschaft die Exporte übersteigen, spricht man von einem Handelsdefizit. Ein Gleichgewichtseinkommen würde bedeuten, dass die Importe die Exporte nicht übertreffen.

b. Wechselkurseffekte: Ein stabiles Gleichgewichtseinkommen kann dazu beitragen, Wechselkurse stabil zu halten und Währungsschwankungen zu verhindern.

Beispiel: Eine hohe Nachfrage nach der Währung einer Volkswirtschaft aufgrund eines hohen Gleichgewichtseinkommens kann zu einer Aufwertung der Währung führen, was die Exporte verteuert und die Importe verbilligt.

c. Internationale Finanzstabilität: Ein stabiles Gleichgewichtseinkommen trägt zur Stabilität der internationalen Finanzmärkte bei und kann das Vertrauen der Anleger stärken.

Beispiel: Wenn eine Volkswirtschaft ein hohes und stabiles Gleichgewichtseinkommen aufweist, wird dies von den internationalen Investoren positiv wahrgenommen, was zu einem Zustrom ausländischer Investitionen führen kann.

Somit lässt sich zusammenfassen: Das Gleichgewichtseinkommen in einer offenen Volkswirtschaft ist ein komplexes Konzept, das die Interaktionen zwischen internen und externen Faktoren berücksichtigt. Durch das Verständnis der Determinanten und Auswirkungen des Gleichgewichtseinkommens können Regierungen und Zentralbanken wie die EZB effektive Maßnahmen zur Förderung von Wachstum, Stabilität und Wohlstand ergreifen. Es ist daher von entscheidender Bedeutung für jeden, der sich mit Volkswirtschaftslehre und makroökonomischer Politik beschäftigt, dieses Konzept zu verstehen und zu analysieren.

Zum besseren Verständnis des Gleichgewichtseinkommens in der offenen Volkswirtschaft schauen wir uns noch einmal das Konzept des Außenbeitrags einer Volkswirtschaft an:

Was versteht man unter dem Außenbeitrag?

Der Außenbeitrag als Teil der Verwendungsrechnung ergibt sich als Saldo zwischen den Exporten und Importen von Gütern sowie Dienstleistungen.

Der Export gibt an, in welchem Umfang Güter sowie Dienstleistungen aus der inländischen Produktion im Ausland verwendet werden. Importgüter und Dienstleistungen gehen zum Teil in Form von Vorleistungen in den Produktionswert der inländischen Produktion ein.[1]

Für das Ziel des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts wird als Indikator meistens der Anteil des Außenbeitrags am BIP verwendet.[2] Der Außenbeitrag ergibt sich demnach als Differenz zwischen Exporten und Importen von Waren sowie Dienstleistungen. Da Deutschland traditionell mehr exportiert als importiert, ist der Saldo in der Regel positiv. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom Exportüberschuss.[3]

Ein positiver Außenbeitrag gibt also an, wie viel von der inländischen Produktion nicht selbst beansprucht wird, sondern dem Ausland verkauft. Entsprechend gibt ein negativer Außenbeitrag an, wie viel ein Inland importiert.[4]

Außenbeitrag

Die Importe im gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht

Die gesamten inländischen Ausgaben (diese werden auch als Absorption bezeichnet) umfassen die Ausgaben sowohl für Güter, die im Inland produziert werden, als auch für importierte Güter. Importe sind also Teil der inländischen Ausgaben. Das Verhältnis der Ausgaben und Importe zueinander muss nicht konstant sein. Vor allem ist die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes ausschlaggebend.

Eine reale Abwertung, also ein Rückgang des Wechselkurses, macht ausländische Güter teurer und hat somit negative Auswirkungen auf die Importe. Umgekehrt kurbelt eine reale Aufwertung, also ein Anstieg des Wechselkurses, die Importe an, diese werden nun günstiger werden.

Diese Beobachtungen sind in der Importfunktion zu erkennen. Diese Importfunktion besagt, dass die Importe mit der Absorption und mit dem realen Wechselkurs zunehmen:[5]

Die Importfunktion lautet: Z = Z (A, s)

Die Absorption A ist definiert als A = C + I + G.

Die Exporte im gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht

Die Exporte eines Landes stellen die Importe der restlichen Welt dar. Sie sind abhängig von der ausländischen Absorption A*.

Wenn der reale Wechselkurs s abnimmt, werden die inländischen Güter aus Sicht der Ausländer günstiger, und die Exporte steigen. Umgekehrt bewirkt eine reale Aufwertung einen Anstieg des Wechselkurses. Dadurch werden die Exporte kostspieliger. Das Ergebnis führt zur Exportfunktion: X = X (A*, s).[6]

Quelle: Der Wirtschaftskreislauf erweitert um das Ausland mit Import und Export, in Anlehnung an Ernst Klett Verlag

Gleichgewichtseinkommen bei offener Volkswirtschaft mit staatlicher Aktivität

Um das Gleichgewichtseinkommen bei offene Volkswirtschaft zu verstehen, schaue Dir am besten zunächst das Gleichgewichtseinkommen der geschlossenen Volkswirtschaft an: https://wl-wirtschaftslehre.de/gleichgewichtseinkommen/ 

Um das Gleichgewichtseinkommen bei der offenen Volkswirtschaft herzuleiten, betrachten wir zunächst das Einnahmen-Ausgaben-Modell einer geschlossenen Volkswirtschaft.

Das Einnahmen-Ausgaben-Modell in einer geschlossenen und offenen Volkswirtschaft

Das Einnahmen-Ausgaben-Modell beruht auf der Vorstellung nach Keynes der effektiven Nachfrage. Nachfrage entsteht dann, wenn neben dem Nachfragewunsch auch das notwendige Einkommen vorhanden ist, um diesen zu realisieren. Eine effektive Nachfrage entsteht genau dann, wenn Yd, die Güternachfrage, dem Einkommen Y entspricht, somit gilt dann Yd = Y.

Ferner liegt ein Gleichgewicht auf dem Gütermarkt vor, wenn das Güterangebot Ya der Güternachfrage Yd entspricht, wenn somit gilt Ya = Y = Yd.

Der erste Teil dieser Bedingung ergibt sich aus der Entstehungsrechnung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, da diese das Angebot von Gütern und Dienstleistungen beschreibt.

Näheres zur Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) findest du unter: https://wl-wirtschaftslehre.de/volkswirtschaftliche-gesamtrechnung-vgr/

Güternachfrage als Funktion des Einkommens

Die Güternachfrage ergibt sich aus dem Konsum von Haushalten und Unternehmen. Es gilt daher Yd = C(Y) + I(r) oder unter Annahme einer linearen Konsumfunktion Yd = cY +C0 +I(r).

Die Güternachfrage ergibt sich somit als Funktion des Einkommens Y und kann in ein Yd−Y-Diagramm eingezeichnet werden. Betrachtet man die Bedingung für die effektive Nachfrage Yd = Y ebenfalls als eine Funktion von Y, so wird sie zur ersten Winkelhalbierenden. Zeichnet man beide Funktionen in ein gemeinsames Diagramm wie in der folgenden Abbildung, so zeigt der Schnittpunkt das Gleichgewicht (Ausgleich von Angebot und Nachfrage) auf dem Gütermarkt.

Einnahmen und Ausgaben in der geschlossenen Volkswirtschaft

Die Abbildung zeigt das Einnahmen-Ausgaben-Modell einer geschlossenen Volkswirtschaft:

Einnahmen-Ausgaben-Modell der geschlossenen Volkswirtschaft

Quelle: Perret/Welfens (2019), S. 229.

Fügt man den Staat als Akteur ein, so erhöht er durch die Staatsnachfrage G die gesamtwirtschaftliche Nachfrage Yd und somit verschiebt sich die Konsumfunktion nach oben wie in der nachfolgenden Abbildung: Das Einnahmen-Ausgaben-Modell einer geschlossenen Volkswirtschaft mit staatlicher Aktivität

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Einnahmen-Ausgaben-Modell der geschlossenen Volkswirtschaft mit staatlicher Aktitvität

Quelle: Perret/Welfens (2019), S. 229.

Auf dem Weg zum Gleichgewichtseinkommen in der offenen Volkswirtschaft

Betrachtet man eine offene Volkswirtschaft, so erhöhen Exporte die Güternachfrage, während Importe die Güternachfrage (nach heimischen Gütern) reduzieren. Die Lage der Güternachfrage hängt somit von der Höhe der Nettoexporte ab. Die folgende Abbildung veranschaulicht den Zusammenhang für die Situation eines Leistungsbilanzüberschusses als auch eines Leistungsbilanzdefizits.[7]

Das Einnahmen-Ausgaben-Modell einer offenen Volkswirtschaft:

Einnahmen-Ausgaben-Modell einer offenen Volkswirtschaft

Quelle: Perret/Welfens (2019), S. 229.

Quellen und Literaturempfehlung zum Gleichgewichtseinkommen einer offenen Volkswirtschaft

Hewel, B., Neubäumer, R. (2017). Der Gütermarkt in: Lenk, T. (Hrsg.) Volkswirtschaftslehre. Grundlagen der Volkswirtschaftstheorie und Volkswirtschaftspolitik. 6. Aufl., Wiesbaden: Gabler-Verlag.

Cezanne, W. (2014). Allgemeine Volkswirtschaftslehre. Deutschland: De Gruyter.

Wyplosz, C., Burda, M. C. (2018). Makroökonomie: Eine europäische Perspektive. Deutschland: Vahlen. Perret, J. K.; Welfens, P. J. J. (2019), Arbeitsbuch Makroökonomik und Wirtschaftspolitik


[1] Vgl. Hewel/Neubäumer (2017), S. 197.

[2] Siehe dazu Cezanne (2014). S. 283.

[3] Vgl. https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Volkswirtschaftliche-Gesamtrechnungen-Inlandsprodukt/Glossar/aussenbeitrag.html

[4] Vgl. Cezanne (2014). S. 283.

[5] Wyplosz/Burda (2018), S. 260

[6] Wyplosz/Burda (2018), S. 260.

[7] Vgl. Perret/Welfens (2019), S. 228.